eine der einfacheren methoden, den intentionen und gedanken stirners auf den grund zu gehen, ist, die "reihenfolge" zu befolgen, die er im buch vorgibt, also einfach seinen gedanken "chronologisch" nachzugehen. die ausgangsposition, die er uns präsentiert, ist die folgende: zur zeit, als er das buch schrieb, ist das "ancien régime", und das meiste was ihm ähnelt, längst besiegt. ebenso ist das mittelalter lange beendet. der humanismus, der liberalismus, der sozialismus, bestimmen die debatten, die kämpfe, die ausrichtung des lebens und der intellektuellen. die situation sieht nun wie folgt aus: ein jahrtausend lang hatten die menschen "gott" in den mittelpunkt des lebens gestellt (nämlich im mittelalter), und zu einem geringeren grad, könig, kaiser und adel. das war der zentrale punkt des lebens gewesen, nach dem sich alles gerichtet hat. das alltagsleben, die gesellschaft, die philosophie. dies ist nun überwunden: und die philosophen zu stirners zeit forderten etwas ganz anderes, und im volk fand es widerklang: der mensch sollte im mittelpunkt stehen. nicht die götter, nicht der adel, nicht gott. der staat, die instituionen, alles im leben und im sozialen, sollte nicht länger auf "gott" ausgerichtet sein, sondern auf den menschen, sein wohlergehen, seine entfaltung. was stirner nun sagt, ist, dass dies prinzipiell sehr schön und gut wäre, wenn es denn wirklich um "die menschen" gehen würde. stattdessen geht es um "den menschen". der mensch wird zu einem abstrakten wesen erklärt, einem ideal, einem konzept, einer philosophie. nicht der reale, wirkliche mensch wird in das zentrum gerückt, sondern ein menschen-ideal, ein "ideal-mensch". nicht der mensch wie er ist, sondern wie er sein soll, wie er gedacht und geplant wird.
die philosophen, lehrmeister und politiker denken sich nun, wie der mensch so "ist". der mensch braucht gesetze, aber auch freiheit, arbeit, aber auch freizeit, kultur und bildung, aber vielleicht nicht zu viel davon, usw, usw., sagen sie. so ersinnen sie sich tausende von regeln und grundsätzen nach denen der mensch leben soll. was aber, wenn die "bürgerliche freiheit", die ihm von der neuen gesellschaft gewährt, einem "bürger" nicht freiheit genug ist, und er sich nach mehr sehnt?
die sowjetunion ist ein beispiel für einen staat, der sehr nach den konzepten, die stirner aufzeigt und kritisiert, gerichtet war. der staat "sorgte" dort für alles. arbeit, kultur, das ganze leben. was aber nun wenn dort einigen menschen die kultur die der staat den menschen verordnete nicht gefiel? sie lieber rockmusik und das wilde leben wollten? die politiker konnten dies nicht verstehen; dass "der mensch" kultur brauchte sahen sie ein; aber sie versorgten die menschen doch mit kultur, die sie für viel besser hielten als der "dekadente" rock'n'roll! dies ist eben der widerspruch zwischem dem gedachten menschen - dem menschen wie er sein soll - und dem *wirklichen* menschen - dem menschen wie er ist.
um wieder in den westen zu kommen. was wenn einem menschen die ganze "bürgerliche gesellschaft" nicht passt, er frei sein will, anarchisch, rebell? darauf ist die gesellschaft nicht ausgerichtet, und sie bekämpft ihn, oder verzweifelt an ihm. weil ihr solche realen, wirklichen äußerungen von individualität völlig fremd sind. die gesellschaft kümmert sich nur um den menschen als "ideal". und für diesen ideal-menschen hat sie auch alles bereit und versorgt ihn. wer sich immer brav an alle regeln hält und nur das begehrt was die gesellschaft ihm zur verfügung stellt hätte ja ein einfaches leben. nur der "real"-mensch ist eben nicht so. er hat wünsche, triebe, regungen, gefühle, die nicht von den "bürgerlichen" so gedacht und geplant waren, in ihren "idealen" vom menschen. die bürgerliche gesellschaft kümmert sich nicht um die menschen wie sie sind, sondern wie sie sein sollen - wie sie gedacht sind.
von daher hält sie den menschen immer ideale vor, denen sie entsprechen sollen.
die konsequenz daraus ist, dass das der gesamte versuch, die gesellschaft nach dem "menschen" auszurichten, gescheitert ist, bzw von vorneherein scheitern musste. weil die gesellschaft dieser periode, oder die sozialistische, oder die bürgerliche gesellschaft, sich nach einem "ideal"-menschen, einem abstrakten, gedachten menschen richteten, nicht nach den *wirklichen* menschen. sie verklärten den menschen zu einem ideal und konzept. dieses konzept wurde wiederum zu einem heiligtum, zu einem neuen gott, nach dem sich alles richtete. der gott hiess nun nicht mehr "gott", sondern mensch. die menschen wurden nicht mehr im namen der kirche unterdrückt, sondern im namen des "menschen" - sie würden unterdrückt, um "menschliche" freiheit, gerechtigkeit, gleichheit zu gewährleisten, die den wirklichen menschen nichts nützten, und menschliche pflichte und regeln einzuforderden, unter denen sie litten. die aussage heisst sozusagen (aber nicht ganz), dass kriege, urteile, kämpfe nun im "namen" der freiheit, gleichheit, gerechtigkeit geführt wurden, nicht mehr vordergründig im namen der götter und kaiser - zum schaden der menschen.
wie gesagt, dem *wirklichen* menschen gefallen vielleicht die regeln, die freizeitangebote, die kultur, die vorschriften, oder aber auch der luxus, die ziele, der "wohlstand" der gesellschaft nicht - und da "weiss sie nicht mehr weiter" und rückt aus zum kampf. und mahnt gleichzeitig, dass der mensch es doch so gut haben könnte in der gesellschaft - aber eben nur der "ideal-mensch".
man muss den wirklichen menschen aber auch nicht nur an "rebellion" festmachen. ein mensch könnte auch in einer kommune sein, in der es darum geht, sich so exzentrisch, speziell und "individualistisch" zu geben. auch dies könnte ihn langweilen, und er hat vielleicht ganz andere ziele, z.B. einfach seiner kunst zu frönen.
viele, die als jugendliche in subkulturen involviert waren, werden wissen, dass selbst die radikalste subkultur beschränkend und stagnierend sein kann, und die notwendigkeit aufwirft, sie zu verlassen.
(trotzdem schlägt unser herz meist mehr für den rebell als für die anderen, selbstverständlicherweise.)
stirner zeigt nun auch auf, dass dies auch nicht dadurch so einfach zu lösen wär, als dass man einfach den "ideal-mensch" durch einen begriff des "wirklichen menschen" ersetzt, und die gesellschaft und die welt dann danach ausrichtet. er sagt, das *jeder* menschen-begriff wiederum ein abstraktum werden würde, ein ideal, ein konzept, das - scheinbar paradoxerweise - dem *wirklichen* menschen nicht entsprechen würde. deswegen lehnt er den menschen-begriff ganz ab, und benutzt stattdessen das wort des einzigen, der kein begriff oder ideal oder abstrakt ist, in keinster weise, sondern vollkommen konkret und naheliegend. nämlich in meinem falle mich, den schreiber, und in deinem falle dich, den leser. und, in gewisserweise, oder besser gesagt, im vorliegendem falle, sonst niemanden. auch nicht "uns beide". das ist die person die stirner mit dem "einzigen" meint.
der einzige meint, wenn du das liest, tatsächlich nur dich, ganz allein, ohne mich, und wenn ich diesen text schreibe (oder auch lese) auch nur mich, und nicht (mehr) dich.
nach dem einzigen soll sich nun die gesellschaft und die welt richten. das ist nicht so gemeint, wie es sich für manche vielleicht anhört - nicht unbedingt so, dass der einzige nun alle macht oder geld oder ähnliches bekommt. sondern z.B., wenn einem einzigen die kultur, die musik, die die gesellschaft bevorzugt, nicht gefällt, er seine eigene machen kann, seinen eigenen weg gehen kann. in diesem fall ist das in beschränktem masse auch schon in unserer gesellschaft möglich (in anderen gesellschaften aber teilweise nicht), in vielen anderen bereichen der gesellschaft aber noch nicht oder nur sehr schwer - man kann sich z.B. nur schwer aus dem geldsystem oder der wohnmöglichkeiten ausklinken, zumindest nicht ohne viele nachteile in kauf zu nehmen.
dass sich die gesellschaft und die welt nun nach lauter, sozusagen millionen, von einzigen richten muss, werden nun viele für wahnsinn und unmöglich halten. dies sieht stirner auch so; vorallem ist es ja auch garnicht im interesse der gesellschaft, sich um den einzigen zu kümmern (zumindest nicht der unsrigen). stattdessen sagt stirner, dass sich der einzige eben seine möglichkeiten und wege und wünsche erkämpfen muss.
und damit auch erfolg haben kann.
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