We are our own darkness and we can be our own light.
We are our own prison and we can be our own freedom.
We are our own suffering and can be our own happiness.
Best Of Max Stirner (German Version)
Eine kleine Zusammfassung einiger Textstellen von Max Stirners "Der Einzige Und Sein Eigentum".
Man kann das komplette Buch im Internet Online lesen: http://www.lsr-projekt.de/msee.html
1.
Und was heisst vernünftig sein? Sich selbst vernehmen? Nein, die Vernunft ist ein Buch voll Gesetze, die alle gegen den Egoismus gegeben sind. Die bisherige Geschichte ist die Geschichte des geistigen Menschen. Nach der Periode der Sinnlichkeit beginnt die eigentliche Geschichte, d.h. die Periode der Geistigkeit, Geistlichkeit, Unsinnlichkeit, Übersinnlichkeit, Unsinnigkeit. Der Mensch fängt nur an, etwas sein und werden zu wollen. Was? Gut, schön, wahr; näher sittlich, fromm, wohlgefällig usw. Er will einen »rechten Menschen«, »etwas Rechtes« aus sich machen. Der Mensch ist sein Ziel, sein Sollen, seine Bestimmung, Beruf, Aufgabe, sein - Ideal: er ist sich ein Zukünftiger, Jenseitiger. Und was macht aus ihm einen »rechten Kerl«? Das Wahrsein, Gutsein, Sittlichkeit u. dgl. Nun sieht er jeden scheel an, der nicht dasselbe »Was« anerkennt, dieselbe Sittlichkeit sucht, denselben Glauben hat: er verjagt die »Separatisten, Ketzer, Sekten« usw. Kein Schaf, kein Hund bemüht sich, ein »rechtes Schaf, ein rechter Hund« zu werden; keinem Tier erscheint sein Wesen als eine Aufgabe, d.h. als ein Begriff, den es zu realisieren habe. Es realisiert sich, indem es sich auslebt, d.h. auflöst, vergeht. Es verlangt nicht, etwas Anderes zu sein oder zu werden, als es ist. Will Ich Euch raten, den Tieren zu gleichen? Dass Ihr Tiere werden sollt, dazu kann Ich wahrlich nicht ermuntern, da dies wieder eine Aufgabe, ein Ideal wäre (»Im Fleiss kann Dich die Biene meistern«). Auch wäre es dasselbe, als wünschte man den Tieren, dass sie Menschen werden. Eure Natur ist nun einmal eine menschliche, Ihr seid menschliche Naturen, d.h. Menschen. Aber eben weil Ihr das bereits seid, braucht Ihr's nicht erst zu werden. Auch Tiere werden »dressiert«, und ein dressiertes Tier leistet mancherlei Unnatürliches. Nur ist ein dressierter Hund für sich nichts besseres, als ein natürlicher, und hat keinen Gewinn davon, wenn er auch für Uns umgänglicher ist. Von jeher waren die Bemühungen im Schwange, alle Menschen zu sittlichen, vernünftigen, frommen, menschlichen u. dgl. »Wesen zu bilden«, d.h. die Dressur. Sie scheitern an der unbezwinglichen Ichheit, an der eigenen Natur, am Egoismus. Die Abgerichteten erreichen niemals ihr Ideal und bekennen sich nur mit dem Munde zu den erhabenen Grundsätzen, oder legen ein Bekenntnis, ein Glaubensbekenntnis, ab. Diesem Bekenntnisse gegenüber müssen sie im Leben sich »allzumal für Sünder erkennen« und bleiben hinter ihrem Ideal zurück, sind »schwache Menschen« und tragen sich mit dem Bewusstsein der »menschlichen Schwachheit«.
Anders, wenn Du nicht einem Ideal, als deiner »Bestimmung«, nachjagst, sondern Dich auflösest, wie die Zeit alles auflöst. Die Auflösung ist nicht deine »Bestimmung«, weil sie Gegenwart ist.
2.
Ohne Zweifel hat die Bildung Mich zum Gewaltigen gemacht. Sie hat Mir Gewalt über alle Antriebe gegeben, sowohl über die Triebe meiner Natur als über die Zumutungen und Gewalttätigkeiten der Welt. Ich weiss und habe durch die Bildung die Kraft dazu gewonnen, dass Ich Mich durch keine meiner Begierden, Lüste, Aufwallungen usw. zwingen zu lassen brauche: Ich bin ihr - Herr; gleicherweise werde Ich durch die Wissenschaften und Künste der Herr der widerspenstigen Welt, dem Meer und Erde gehorchen und selbst die Sterne Rede stehen müssen. Der Geist hat Mich zum Herrn gemacht. - Aber über den Geist selbst habe Ich keine Gewalt. Aus der Religion (Bildung) lerne Ich wohl die Mittel zur »Besiegung der Welt«, aber nicht, wie Ich auch Gott bezwinge und seiner Herr werde; denn Gott »ist der Geist«. Und zwar kann der Geist, dessen Ich nicht Herr zu werden vermag, die mannigfaltigsten Gestalten haben: er kann Gott heissen oder Volksgeist, Staat, Familie, Vernunft, auch - Freiheit, Menschlichkeit, Mensch.
Ich nehme mit Dank auf, was die Jahrhunderte der Bildung Mir erworben haben; nichts davon will Ich wegwerfen und aufgeben: Ich habe nicht umsonst gelebt. Die Erfahrung, dass Ich Gewalt über meine Natur habe und nicht der Sklave meiner Begierden zu sein brauche, soll Mir nicht verloren gehen; die Erfahrung, dass Ich durch Bildungsmittel die Welt bezwingen kann, ist zu teuer erkauft, als dass Ich sie vergessen könnte. Aber Ich will noch mehr.
3.
Wir stehen an der Grenzscheide einer Periode. Die bisherige Welt sann auf nichts als auf Gewinn des Lebens, sorgte fürs - Leben. Denn ob alle Tätigkeit für das diesseitige oder für das jenseitige, für das zeitliche oder für das ewige Leben in Spannung gesetzt wird, ob man nach dem »täglichen Brote« lechzt (»Gib Uns unser täglich Brot«) oder nach dem »heiligen Brote« (»das rechte Brot vom Himmel«; »das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und der Welt das Leben gibt;« »das Brot des Lebens.« Joh. 6.), ob man ums »liebe Leben« sorgt oder um das »Leben in Ewigkeit«. das ändert den Zweck der Spannung und Sorge nicht, der im einen wie im andern Falle sich als das Leben ausweist. Kündigen sich die modernen Tendenzen anders an? Man will, dass Niemand mehr um die nötigsten Lebensbedürfnisse in Verlegenheit komme, sondern sich darin gesichert finde, und anderseits lehrt man, dass der Mensch sich ums Diesseits zu bekümmern und in die wirkliche Welt einzuleben habe, ohn eitle Sorge um ein Jenseits.
Fassen Wir dieselbe Sache von einer andern Seite auf. Wer nur besorgt ist, dass er lebe, vergisst über diese Ängstlichkeit leicht den Genuss des Lebens. Ist's ihm nur ums Leben zu tun und denkt er, wenn Ich nur das liebe Leben habe, so verwendet er nicht seine volle Kraft darauf, das Leben zu nutzen, d.h. zu geniessen. Wie aber nutzt man das Leben? Indem man's verbraucht, gleich dem Lichte, das man nutzt, indem man's verbrennt. Man nutzt das Leben und mithin sich, den Lebendigen, indem man es und sich verzehrt. Lebensgenuss ist Verbrauch des Lebens.
Nun - den Genuss des Lebens suchen Wir auf! Und was tat die religiöse Welt? Sie suchte das Leben auf. »Worin besteht das wahre Leben, das selige Leben usw.? Wie ist es zu erreichen? Was muss der Mensch tun und werden, um ein wahrhaft Lebendiger zu sein? Wie erfüllt er diesen Beruf?« Diese und ähnliche Fragen deuten darauf hin, dass die Fragenden erst sich suchten, sich nämlich im wahren Sinne, im Sinne der wahrhaftigen Lebendigkeit. »Was Ich bin, ist Schaum und Schatten; was Ich sein werde, ist mein wahres Ich.« Diesem Ich nachzujagen, es herzustellen, es zu realisieren, macht die schwere Aufgabe der Sterblichen aus, die nur sterben, um aufzuerstehen, nur leben, um zu sterben, nur leben, um das wahre Leben zu finden.
Erst dann, wenn Ich Meiner gewiss bin und Mich nicht mehr suche, bin Ich wahrhaft mein Eigentum: Ich habe Mich, darum brauche und geniesse Ich Mich. Dagegen kann Ich Meiner nimmermehr froh werden, solange Ich denke, mein wahres Ich hätte Ich erst noch zu finden, und es müsse dahin kommen, dass nicht Ich, sondern Christus in Mir lebe oder irgend ein anderes geistiges, d.h. gespenstisches Ich, z.B. der wahre Mensch, das Wesen des Menschen u. dgl.
Ein ungeheurer Abstand trennt beide Anschauungen: in der alten gehe Ich auf Mich zu, in der neuen gehe Ich von Mir aus, in jener sehne Ich Mich nach Mir, in dieser habe Ich Mich und mache es mit Mir, wie man's mit jedem andern Eigentum macht, - Ich geniesse Mich nach meinem Wohlgefallen. Ich bange nicht mehr um's Leben, sondern »vertue« es.
Von jetzt an lautet die Frage, nicht wie man das Leben erwerben, sondern wie man's vertun, geniessen könne, oder nicht wie man das wahre Ich in sich herzustellen, sondern wie man sich aufzulösen, sich auszuleben habe.
Was wäre das Ideal wohl anders, als das gesuchte, stets ferne Ich? Sich sucht man, folglich hat man sich noch nicht, man trachtet nach dem, was man sein soll, folglich ist man's nicht. Man lebt in Sehnsucht und hat Jahrtausende in ihr, hat in Hoffnung gelebt. Ganz anders lebt es sich im - Genuss!
Trifft dies etwa nur die sogenannten Frommen? Nein, es trifft alle, die der scheidenden Geschichtsperiode angehören, selbst ihre Lebemänner. Auch ihnen folgte auf die Werkeltage ein Sonntag und auf das Welttreiben der Traum von einer besseren Welt, von einem allgemeinen Menschenglück, kurz ein Ideal. Aber namentlich die Philosophen werden den Frommen gegenübergestellt. Nun, haben die an etwas anderes gedacht, als an das Ideal, auf etwas anderes gesonnen, als auf das absolute Ich? Sehnsucht und Hoffnung überall, und nichts als diese. Nennt es meinetwegen Romantik.
4.
»Nichts in dieser Welt ist vollkommen«. Mit diesem leidigen Spruche scheiden die Guten von ihr und flüchten sich in ihr Kämmerlein zu Gott oder in ihr stolzes »Selbstbewusstsein«. Wir aber bleiben in dieser »unvollkommenen« Welt, weil Wir sie auch so brauchen können zu unserem - Selbstgenuss.
5.
Denn dem Volke kommt es nur auf seine Selbstbehauptung an; es fordert »patriotische Aufopferung« von jedem. Mithin ist ihm jeder für sich gleichgültig, ein Nichts, und es kann nicht machen, nicht einmal leiden, was der Einzelne und nur dieser machen muss, nämlich seine Verwertung. Ungerecht ist jedes Volk, jeder Staat gegen den Egoisten.
Solange auch nur eine Institution noch besteht, welche der Einzelne nicht auflösen darf, ist die Eigenheit und Selbstangehörigkeit Meiner noch sehr fern. Wie kann Ich z.B. frei sein, wenn Ich eidlich an eine Konstitution, eine Charte, ein Gesetz Mich binden, meinem Volke »Leib und Seele verschwören« muss? Wie kann Ich eigen sein, wenn meine Fähigkeiten sich nur so weit entwickeln dürfen, als sie die »Harmonie der Gesellschaft nicht stören« (Weitling). Der Untergang der Völker und der Menschheit wird Mich zum Aufgange einladen.
Horch, eben da Ich dies schreibe, fangen die Glocken an zu läuten, um für den morgenden Tag die Feier des tausendjährigen Bestandes unseres lieben Deutschlands einzuklingeln. Läutet, läutet seinen Grabgesang! Ihr klingt ja feierlich genug, als bewegte eure Zunge die Ahnung, dass sie einem Toten das Geleit gebe. Deutsches Volk und deutsche Völker haben eine Geschichte von tausend Jahren hinter sich: welch langes Leben! Geht denn ein zur Ruhe, zum Nimmerauferstehen, auf dass Alle frei werden, die Ihr so lange in Fesseln hieltet. - Tot ist das Volk. - Wohlauf Ich!
O Du mein vielgequältes, deutsches Volk - was war deine Qual? Es war die Qual eines Gedankens, der keinen Leib sich erschaffen kann, die Qual eines spukenden Geistes, der vor jedem Hahnenschrei in nichts zerrinnt und doch nach Erlösung und Erfüllung schmachtet. Auch in Mir hast Du lange gelebt, Du lieber - Gedanke, Du lieber - Spuk. Fast wähnte Ich schon das Wort deiner Erlösung gefunden, für den irrenden Geist Fleisch und Bein entdeckt zu haben: da höre Ich sie läuten, die Glocken, die Dich zur ewigen Ruhe bringen, da verhallt die letzte Hoffnung, da summt die letzte Liebe aus, da scheide Ich aus dem öden Hause der Verstorbenen und kehre ein zu den - Lebendigen:
Denn allein der Lebende hat Recht.
Fahre wohl, Du Traum so vieler Millionen, fahre wohl, Du tausendjährige Tyrannin deiner Kinder!
Morgen trägt man Dich zu Grabe; bald werden deine Schwestern, die Völker, Dir folgen. Sind sie aber alle gefolgt, so ist - - die Menschheit begraben, und Ich bin mein eigen, Ich bin der lachende Erbe!
6.
Warum nun, wenn die Freiheit doch dem Ich zu Liebe erstrebt wird, warum nun nicht das Ich selber zu Anfang, Mitte und Ende wählen? Bin Ich nicht mehr wert als die Freiheit? Bin Ich es nicht, der Ich Mich frei mache, bin Ich nicht das Erste? Auch unfrei, auch in tausend Fesseln geschlagen, bin Ich doch, und Ich bin nicht etwa erst zukünftig und auf Hoffnung vorhanden, wie die Freiheit, sondern Ich bin auch als Verworfenster der Sklaven - gegenwärtig.
Bedenkt das wohl und entscheidet Euch, ob Ihr auf eure Fahne den Traum der »Freiheit« oder den Entschluss des »Egoismus«, der »Eigenheit« stecken wollt. Die »Freiheit« weckt euren Grimm gegen Alles, was Ihr nicht seid; der »Egoismus« ruft Euch zur Freude über Euch selbst, zum Selbstgenusse; die »Freiheit« ist und bleibt eine Sehnsucht, ein romantischer Klagelaut, eine christliche Hoffnung auf Jenseitigkeit und Zukunft; die »Eigenheit« ist eine Wirklichkeit, die von selbst gerade soviel Unfreiheit beseitigt, als Euch hinderlich den eigenen Weg versperrt. Von dem, was Euch nicht stört, werdet Ihr Euch nicht lossagen wollen, und wenn es Euch zu stören anfängt, nun so wisst Ihr, dass »Ihr Euch mehr gehorchen müsset, denn den Menschen!«
Die Freiheit lehrt nur: Macht Euch los, entledigt Euch alles Lästigen; sie lehrt Euch nicht, wer Ihr selbst seid. Los, los! so tönt ihr Losungswort, und Ihr, begierig ihrem Rufe folgend, werdet Euch selbst sogar los, »verleugnet Euch selbst«. Die Eigenheit aber ruft Euch zu Euch selbst zurück, sie spricht: »Komm zu Dir!« Unter der Ägide der Freiheit werdet Ihr Vielerlei los, aber Neues beklemmt Euch wieder: »den Bösen seid Ihr los, das Böse ist geblieben«. Als Eigene seid Ihr wirklich Alles los, und was Euch anhaftet, das habt Ihr angenommen, das ist eure Wahl und euer Belieben. Der Eigene ist der geborene Freie, der Freie von Haus aus; der Freie dagegen nur der Freiheitssüchtige, der Träumer und Schwärmer.
Jener ist ursprünglich frei, weil er nichts als sich anerkennt; er braucht sich nicht erst zu befreien, weil er von vornherein Alles ausser sich verwirft, weil er nichts mehr schätzt als sich, nichts höher anschlägt, kurz, weil er von sich ausgeht und »zu sich kommt«. Befangen im kindlichen Respekt, arbeitet er gleichwohl schon daran, aus dieser Befangenheit sich »zu befreien«. Die Eigenheit arbeitet in dem kleinen Egoisten und verschafft ihm die begehrte - Freiheit.
7.
Aber man braucht Euch nur an Euch zu mahnen, um Euch gleich zur Verzweiflung zu bringen. »Was bin Ich?« so fragt sich jeder von Euch. Ein Abgrund von regel- und gesetzlosen Trieben, Begierden, Wünschen, Leidenschaften, ein Chaos ohne Licht und Leitstern! Wie soll Ich, wenn Ich ohne Rücksicht auf Gottes Gebote oder auf die Pflichten, welche die Moral vorschreibt, ohne Rücksicht auf die Stimme der Vernunft, welche im Lauf der Geschichte nach bitteren Erfahrungen das Beste und Vernünftigste zum Gesetze erhoben hat, lediglich Mich frage, eine richtige Antwort erhalten? Meine Leidenschaft würde Mir gerade zum Unsinnigsten raten. - So hält jeder sich selbst für den - Teufel; denn hielte er sich, sofern er um Religion usw. unbekümmert ist, nur für ein Tier, so fände er leicht, dass das Tier, das doch nur seinem Antriebe (gleichsam seinem Rate) folgt, sich nicht zum »Unsinnigsten« rät und treibt, sondern sehr richtige Schritte tut. Allein die Gewohnheit religiöser Denkungsart hat unsern Geist so arg befangen, dass Wir vor Uns in unserer Nacktheit und Natürlichkeit - erschrecken; sie hat Uns so erniedrigt, dass Wir Uns für erbsündlich, für geborene Teufel halten. Natürlich fällt Euch sogleich ein, dass Euer Beruf erheische, das »Gute« zu tun, das Sittliche, das Rechte. Wie kann nun, wenn Ihr Euch fragt, was zu tun sei, die rechte Stimme aus Euch heraufschallen, die Stimme, welche den Weg des Guten, Rechten, Wahren usw. zeigt? Wie stimmt Gott und Belial?
Was würdet Ihr aber denken, wenn Euch einer erwiderte: dass man auf Gott, Gewissen, Pflichten, Gesetze usw. hören solle, das seien Flausen, mit denen man Euch Kopf und Herz vollgepfropft und Euch verrückt gemacht habe? Und wenn er Euch früge, woher Ihr's denn so sicher wisst, dass die Naturstimme eine Verführerin sei? Und wenn er Euch gar zumutete, die Sache umzukehren, und geradezu die Gottes- und Gewissensstimme für Teufelswerk zu halten? Solche heillose Menschen gibt's; wie werdet Ihr mit ihnen fertig werden? Auf eure Pfaffen, Eltern und guten Menschen könnt Ihr Euch nicht berufen, denn die werden eben als eure Verführer von jenen bezeichnet, als die wahren Jugendverführer und Jugendverderber, die das Unkraut der Selbstverachtung und Gottesverehrung emsig aussäen, die jungen Herzen verschlämmen und die jungen Köpfe verdummen.
8.
Ich demütige Mich vor keiner Macht mehr und erkenne, dass alle Mächte nur meine Macht sind, die Ich sogleich zu unterwerfen habe, wenn sie eine Macht gegen oder über Mich zu werden drohen; jede derselben darf nur eins meiner Mittel sein, Mich durchzusetzen, wie ein Jagdhund unsere Macht gegen das Wild ist, aber von Uns getötet wird, wenn er Uns selbst anfiele. Alle Mächte, die Mich beherrschen, setze Ich dann dazu herab, Mir zu dienen. Die Götzen sind durch Mich: Ich brauche sie nur nicht von neuem zu schaffen, so sind sie nicht mehr; »höhere Mächte« sind nur dadurch, dass Ich sie erhöhe und Mich niedriger stelle.
9.
Geh' Mir vom Leibe mit Deiner »Menschenliebe«! Schleiche Dich hinein, Du Menschenfreund, in die »Höhlen des Lasters«, verweile einmal in dem Gewühl der grossen Stadt: wirst Du nicht überall Sünde und Sünde und wieder Sünde finden? Wirst Du nicht jammern über die verderbte Menschheit, nicht klagen über den ungeheuern Egoismus? Wirst Du einen Reichen sehen, ohne ihn unbarmherzig und »egoistisch« zu finden? Du nennst Dich vielleicht schon Atheist, aber dem christlichen Gefühle bleibst Du treu, dass ein Kamel eher durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher kein »Unmensch« sei. Wie viele siehst Du überhaupt, die Du nicht unter die »egoistische Masse« würfest? Was hat also deine Menschenliebe gefunden? Lauter unliebenswürdige Menschen! Und woher stammen sie alle? Aus Dir, aus deiner Menschenliebe! Du hast den Sünder im Kopfe mitgebracht, darum fandest Du ihn, darum schobst Du ihn überall unter. Nenne die Menschen nicht Sünder, so sind sie's nicht: Du allein bist der Schöpfer der Sünder: Du, der Du die Menschen zu lieben wähnst, Du gerade wirfst sie in den Kot der Sünde, Du gerade scheidest sie in Lasterhafte und Tugendhafte, in Menschen und Unmenschen, Du gerade besudelst sie mit dem Geifer deiner Besessenheit; denn Du liebst nicht die Menschen, sondern den Menschen. Ich aber sage Dir, Du hast niemals einen Sünder gesehen, Du hast ihn nur - geträumt.
10.
Man hat immer gemeint, Mir eine ausserhalb Meiner liegende Bestimmung geben zu müssen, so dass man zuletzt Mir zumutete, Ich sollte das Menschliche in Anspruch nehmen, weil Ich - Mensch sei. Dies ist der christliche Zauberkreis. Auch Fichtes Ich ist dasselbe Wesen ausser Mir, denn Ich ist jeder, und hat nur dieses Ich Rechte, so ist es »das Ich«, nicht Ich bin es. Ich bin aber nicht ein Ich neben andern Ichen, sondern das alleinige Ich: Ich bin einzig. Daher sind auch meine Bedürfnisse einzig, meine Taten, kurz alles an Mir ist einzig. Und nur als dieses einzige Ich nehme Ich Mir alles zu eigen, wie Ich nur als dieses Mich betätige und entwickle: Nicht als Mensch und nicht den Menschen entwickle Ich, sondern als Ich entwickle Ich - Mich.
Dies ist der Sinn des - Einzigen.
11.
Aber Ich und Du, Wir mögen zwar Leute sein, von denen sich ein Krummacher denken kann, dass Wir noch gute Christen werden könnten; wenn er Uns indes »bearbeiten« wollte, so würden Wir ihm bald fühlbar machen, dass unsere Christlichkeit nur denkbar, sonst aber unmöglich ist: er würde, grinste er Uns fort und fort mit seinen zudringlichen Gedanken, seinem »guten Glauben«, an, erfahren müssen, dass Wir gar nicht zu werden brauchen, was Wir nicht werden mögen.
12.
Das Ideal »der Mensch« ist realisiert, wenn die christliche Anschauung umschlägt in den Satz: »Ich, dieser Einzige, bin der Mensch«. Die Begriffsfrage: »was ist der Mensch?« - hat sich dann in die persönliche umgesetzt: »wer ist der Mensch?« Bei »was« suchte man den Begriff, um ihn zu realisieren; bei »wer« ist's überhaupt keine Frage mehr, sondern die Antwort im Fragenden gleich persönlich vorhanden: die Frage beantwortet sich von selbst.
Man sagt von Gott: »Namen nennen Dich nicht«. Das gilt von Mir: kein Begriff drückt Mich aus, nichts, was man als mein Wesen angibt, erschöpft Mich; es sind nur Namen. Gleichfalls sagt man von Gott, er sei vollkommen und habe keinen Beruf, nach Vollkommenheit zu streben. Auch das gilt allein von Mir.
Eigner bin Ich meiner Gewalt, und Ich bin es dann, wenn Ich Mich als Einzigen weiss. Im Einzigen kehrt selbst der Eigner in sein schöpferisches Nichts zurück, aus welchem er geboren wird. Jedes höhere Wesen über Mir, sei es Gott, sei es der Mensch, schwächt das Gefühl meiner Einzigkeit und erbleicht erst vor der Sonne dieses Bewusstseins. Stell' Ich auf Mich, den Einzigen, meine Sache, dann steht sie auf dem Vergänglichen, dem sterblichen Schöpfer seiner, der sich selbst verzehrt, und Ich darf sagen:
Ich hab' mein' Sach' auf Nichts gestellt.
13.
Wurde oben gesagt: »den Alten war die Welt eine Wahrheit«, so müssen Wir hier sagen: »den Neuen war der Geist eine Wahrheit«, dürfen aber, wie dort, so hier den Zusatz nicht auslassen: eine Wahrheit, hinter deren Unwahrheit sie zu kommen suchten und endlich wirklich kommen.
14.
Die Wahrheit oder »die Wahrheit überhaupt« will man nicht aufgeben, sondern suchen. Was ist sie anders als das être suprême, das höchste Wesen? Verzweifeln müsste auch die »wahre Kritik«, wenn sie den Glauben an die Wahrheit verlöre. Und doch ist die Wahrheit nur ein - Gedanke, aber nicht bloss einer, sondern sie ist der Gedanke, der über alle Gedanken ist, der unumstössliche Gedanke, sie ist der Gedanke selbst, der alle andern erst heiligt, ist die Weihe der Gedanken, der »absolute«, der »heilige« Gedanke. Die Wahrheit hält länger vor, als alle Götter; denn nur in ihrem Dienste und ihr zu Liebe hat man die Götter und zuletzt selbst den Gott gestürzt. Den Untergang der Götterwelt überdauert »die Wahrheit«, denn sie ist die unsterbliche Seele dieser vergänglichen Götterwelt, sie ist die Gottheit selber.
Ich will antworten auf die Frage des Pilatus: Was ist Wahrheit? Wahrheit ist der freie Gedanke, die freie Idee, der freie Geist; Wahrheit ist, was von Dir frei, was nicht dein eigen, was nicht in deiner Gewalt ist. Aber Wahrheit ist auch das völlig Unselbständige, Unpersönliche, Unwirkliche und Unbeleibte; Wahrheit kann nicht auftreten, wie Du auftrittst, kann sich nicht bewegen, nicht ändern, nicht entwickeln; Wahrheit erwartet und empfängt alles von Dir und ist selbst nur durch Dich: denn sie existiert nur in - deinem Kopfe. Du gibst das zu, dass die Wahrheit ein Gedanke sei, aber nicht jeder Gedanke sei ein wahrer, oder, wie Du's auch wohl ausdrückst, nicht jeder Gedanke ist wahrhaft und wirklich Gedanke. Und woran missest und erkennst Du den wahren Gedanken? An deiner Ohnmacht, nämlich daran, dass Du ihm nichts mehr anhaben kannst! Wenn er Dich überwältigt, begeistert und fortreisst, dann hältst Du ihn für den wahren. Seine Herrschaft über Dich dokumentiert Dir seine Wahrheit, und wenn er Dich besitzt und Du von ihm besessen bist, dann ist Dir wohl bei ihm, denn dann hast Du deinen - Herrn und Meister gefunden. Als Du die Wahrheit suchtest, wonach sehnte sich dein Herz da? Nach deinem Herrn! Du trachtetest nicht nach deiner Gewalt, sondern nach einem Gewaltigen, und wolltest einen Gewaltigen erhöhen (»Erhöhet den Herrn, unsern Gott!«). Die Wahrheit, mein lieber Pilatus, ist - der Herr, und alle, welche die Wahrheit suchen, suchen und preisen den Herrn. Wo existiert der Herr? Wo anders als in deinem Kopfe? Er ist nur Geist, und wo immer Du ihn wirklich zu erblicken glaubst, da ist er ein - Gespenst; der Herr ist ja bloss ein Gedachtes, und nur die christliche Angst und Qual, das Unsichtbare sichtbar, das Geistige leibhaftig zu machen, erzeugte das Gespenst und war der furchtsame Jammer des Gespensterglaubens.
Solange Du an die Wahrheit glaubst, glaubst Du nicht an Dich und bist ein - Diener, ein - religiöser Mensch. Du allein bist die Wahrheit, oder vielmehr, Du bist mehr als die Wahrheit, die vor Dir gar nichts ist. Allerdings fragst auch Du nach der Wahrheit, allerdings »kritisierst« auch Du, aber Du fragst nicht nach einer »höhern Wahrheit«, die nämlich höher wäre als Du, und kritisierst nicht nach dem Kriterium einer solchen. Du machst Dich an die Gedanken und Vorstellungen wie an die Erscheinungen der Dinge nur zu dem Zwecke, um sie Dir mundgerecht, geniessbar und eigen zu machen, Du willst sie nur bewältigen und ihr Eigner werden, willst Dich in ihnen orientieren und zu Hause wissen, und befindest sie wahr oder siehst sie in ihrem wahren Lichte dann, wenn sie Dir nicht mehr entschlüpfen können, keine ungepackte oder unbegriffene Stelle mehr haben, oder wenn sie Dir recht, wenn sie dein Eigentum sind. Werden sie nachgehends wieder schwerer, entwinden sie deiner Gewalt sich wieder, so ist das eben ihre Unwahrheit, nämlich deine Ohnmacht. Deine Ohnmacht ist ihre Macht, deine Demut ihre Hoheit. Ihre Wahrheit also bist Du oder ist das Nichts, welches Du für sie bist und in welches sie zerfliessen, ihre Wahrheit ist ihre Nichtigkeit.
Erst als das Eigentum Meiner kommen die Geister, die Wahrheiten, zur Ruhe, und sie sind dann erst wirklich, wenn ihnen die leidige Existenz entzogen und sie zu einem Eigentum Meiner gemacht werden, wenn es nicht mehr heisst: die Wahrheit entwickelt sich, herrscht, macht sich geltend, die Geschichte (auch ein Begriff) siegt u. dergl. Niemals hat die Wahrheit gesiegt, sondern stets war sie mein Mittel zum Siege, ähnlich dem Schwerte (»das Schwert der Wahrheit«). Die Wahrheit ist tot, ein Buchstabe, ein Wort, ein Material, das Ich verbrauchen kann. Alle Wahrheit für sich ist tot, ein Leichnam; lebendig ist sie nur in derselben Weise, wie meine Lunge lebendig ist, nämlich in dem Masse meiner eigenen Lebendigkeit. Die Wahrheiten sind Material wie Kraut und Unkraut; ob Kraut oder Unkraut, darüber liegt die Entscheidung in Mir.
Mir sind die Gegenstände nur Material, das Ich verbrauche. Wo Ich hingreife, fasse Ich eine Wahrheit, die Ich Mir zurichte. Die Wahrheit ist Mir gewiss, und Ich brauche sie nicht zu ersehnen. Der Wahrheit einen Dienst zu leisten, ist nirgends meine Absicht; sie ist Mir nur ein Nahrungsmittel für meinen denkenden Kopf, wie die Kartoffel für meinen verdauenden Magen, der Freund für mein geselliges Herz. Solange Ich Lust und Kraft zu denken habe, dient Mir jede Wahrheit nur dazu, sie nach meinem Vermögen zu verarbeiten. Wie für den Christen die Wirklichkeit oder Weltlichkeit, so ist für Mich die Wahrheit »eitel und nichtig«. Sie existiert gerade so gut, als die Dinge dieser Welt fortexistieren, obgleich der Christ ihre Nichtigkeit bewiesen hat; aber sie ist eitel, weil sie ihren Wert nicht in sich hat, sondern in Mir. Für sich ist sie wertlos. Die Wahrheit ist eine - Kreatur.
Wie Ihr durch eure Tätigkeit unzählige Dinge herstellt, ja den Erdboden neu gestaltet und überall Menschenwerke errichtet, so mögt Ihr auch noch zahllose Wahrheiten durch euer Denken ermitteln, und Wir wollen Uns gerne daran erfreuen. Wie Ich Mich jedoch nicht dazu hergeben mag, eure neu entdeckten Maschinen maschinenmässig zu bedienen, sondern sie nur zu meinem Nutzen in Gang setzen helfe, so will Ich auch eure Wahrheiten nur gebrauchen, ohne Mich für ihre Forderungen gebrauchen zu lassen.
Alle Wahrheiten unter Mir sind Mir lieb; eine Wahrheit über Mir, eine Wahrheit, nach der Ich Mich richten müsste, kenne Ich nicht. Für Mich gibt es keine Wahrheit, denn über Mich geht nichts! Auch nicht mein Wesen, auch nicht das Wesen des Menschen geht über Mich! Und zwar über Mich, diesen »Tropfen am Eimer«, diesen »unbedeutenden Menschen«!
Man kann das komplette Buch im Internet Online lesen: http://www.lsr-projekt.de/msee.html
1.
Und was heisst vernünftig sein? Sich selbst vernehmen? Nein, die Vernunft ist ein Buch voll Gesetze, die alle gegen den Egoismus gegeben sind. Die bisherige Geschichte ist die Geschichte des geistigen Menschen. Nach der Periode der Sinnlichkeit beginnt die eigentliche Geschichte, d.h. die Periode der Geistigkeit, Geistlichkeit, Unsinnlichkeit, Übersinnlichkeit, Unsinnigkeit. Der Mensch fängt nur an, etwas sein und werden zu wollen. Was? Gut, schön, wahr; näher sittlich, fromm, wohlgefällig usw. Er will einen »rechten Menschen«, »etwas Rechtes« aus sich machen. Der Mensch ist sein Ziel, sein Sollen, seine Bestimmung, Beruf, Aufgabe, sein - Ideal: er ist sich ein Zukünftiger, Jenseitiger. Und was macht aus ihm einen »rechten Kerl«? Das Wahrsein, Gutsein, Sittlichkeit u. dgl. Nun sieht er jeden scheel an, der nicht dasselbe »Was« anerkennt, dieselbe Sittlichkeit sucht, denselben Glauben hat: er verjagt die »Separatisten, Ketzer, Sekten« usw. Kein Schaf, kein Hund bemüht sich, ein »rechtes Schaf, ein rechter Hund« zu werden; keinem Tier erscheint sein Wesen als eine Aufgabe, d.h. als ein Begriff, den es zu realisieren habe. Es realisiert sich, indem es sich auslebt, d.h. auflöst, vergeht. Es verlangt nicht, etwas Anderes zu sein oder zu werden, als es ist. Will Ich Euch raten, den Tieren zu gleichen? Dass Ihr Tiere werden sollt, dazu kann Ich wahrlich nicht ermuntern, da dies wieder eine Aufgabe, ein Ideal wäre (»Im Fleiss kann Dich die Biene meistern«). Auch wäre es dasselbe, als wünschte man den Tieren, dass sie Menschen werden. Eure Natur ist nun einmal eine menschliche, Ihr seid menschliche Naturen, d.h. Menschen. Aber eben weil Ihr das bereits seid, braucht Ihr's nicht erst zu werden. Auch Tiere werden »dressiert«, und ein dressiertes Tier leistet mancherlei Unnatürliches. Nur ist ein dressierter Hund für sich nichts besseres, als ein natürlicher, und hat keinen Gewinn davon, wenn er auch für Uns umgänglicher ist. Von jeher waren die Bemühungen im Schwange, alle Menschen zu sittlichen, vernünftigen, frommen, menschlichen u. dgl. »Wesen zu bilden«, d.h. die Dressur. Sie scheitern an der unbezwinglichen Ichheit, an der eigenen Natur, am Egoismus. Die Abgerichteten erreichen niemals ihr Ideal und bekennen sich nur mit dem Munde zu den erhabenen Grundsätzen, oder legen ein Bekenntnis, ein Glaubensbekenntnis, ab. Diesem Bekenntnisse gegenüber müssen sie im Leben sich »allzumal für Sünder erkennen« und bleiben hinter ihrem Ideal zurück, sind »schwache Menschen« und tragen sich mit dem Bewusstsein der »menschlichen Schwachheit«.
Anders, wenn Du nicht einem Ideal, als deiner »Bestimmung«, nachjagst, sondern Dich auflösest, wie die Zeit alles auflöst. Die Auflösung ist nicht deine »Bestimmung«, weil sie Gegenwart ist.
2.
Ohne Zweifel hat die Bildung Mich zum Gewaltigen gemacht. Sie hat Mir Gewalt über alle Antriebe gegeben, sowohl über die Triebe meiner Natur als über die Zumutungen und Gewalttätigkeiten der Welt. Ich weiss und habe durch die Bildung die Kraft dazu gewonnen, dass Ich Mich durch keine meiner Begierden, Lüste, Aufwallungen usw. zwingen zu lassen brauche: Ich bin ihr - Herr; gleicherweise werde Ich durch die Wissenschaften und Künste der Herr der widerspenstigen Welt, dem Meer und Erde gehorchen und selbst die Sterne Rede stehen müssen. Der Geist hat Mich zum Herrn gemacht. - Aber über den Geist selbst habe Ich keine Gewalt. Aus der Religion (Bildung) lerne Ich wohl die Mittel zur »Besiegung der Welt«, aber nicht, wie Ich auch Gott bezwinge und seiner Herr werde; denn Gott »ist der Geist«. Und zwar kann der Geist, dessen Ich nicht Herr zu werden vermag, die mannigfaltigsten Gestalten haben: er kann Gott heissen oder Volksgeist, Staat, Familie, Vernunft, auch - Freiheit, Menschlichkeit, Mensch.
Ich nehme mit Dank auf, was die Jahrhunderte der Bildung Mir erworben haben; nichts davon will Ich wegwerfen und aufgeben: Ich habe nicht umsonst gelebt. Die Erfahrung, dass Ich Gewalt über meine Natur habe und nicht der Sklave meiner Begierden zu sein brauche, soll Mir nicht verloren gehen; die Erfahrung, dass Ich durch Bildungsmittel die Welt bezwingen kann, ist zu teuer erkauft, als dass Ich sie vergessen könnte. Aber Ich will noch mehr.
3.
Wir stehen an der Grenzscheide einer Periode. Die bisherige Welt sann auf nichts als auf Gewinn des Lebens, sorgte fürs - Leben. Denn ob alle Tätigkeit für das diesseitige oder für das jenseitige, für das zeitliche oder für das ewige Leben in Spannung gesetzt wird, ob man nach dem »täglichen Brote« lechzt (»Gib Uns unser täglich Brot«) oder nach dem »heiligen Brote« (»das rechte Brot vom Himmel«; »das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und der Welt das Leben gibt;« »das Brot des Lebens.« Joh. 6.), ob man ums »liebe Leben« sorgt oder um das »Leben in Ewigkeit«. das ändert den Zweck der Spannung und Sorge nicht, der im einen wie im andern Falle sich als das Leben ausweist. Kündigen sich die modernen Tendenzen anders an? Man will, dass Niemand mehr um die nötigsten Lebensbedürfnisse in Verlegenheit komme, sondern sich darin gesichert finde, und anderseits lehrt man, dass der Mensch sich ums Diesseits zu bekümmern und in die wirkliche Welt einzuleben habe, ohn eitle Sorge um ein Jenseits.
Fassen Wir dieselbe Sache von einer andern Seite auf. Wer nur besorgt ist, dass er lebe, vergisst über diese Ängstlichkeit leicht den Genuss des Lebens. Ist's ihm nur ums Leben zu tun und denkt er, wenn Ich nur das liebe Leben habe, so verwendet er nicht seine volle Kraft darauf, das Leben zu nutzen, d.h. zu geniessen. Wie aber nutzt man das Leben? Indem man's verbraucht, gleich dem Lichte, das man nutzt, indem man's verbrennt. Man nutzt das Leben und mithin sich, den Lebendigen, indem man es und sich verzehrt. Lebensgenuss ist Verbrauch des Lebens.
Nun - den Genuss des Lebens suchen Wir auf! Und was tat die religiöse Welt? Sie suchte das Leben auf. »Worin besteht das wahre Leben, das selige Leben usw.? Wie ist es zu erreichen? Was muss der Mensch tun und werden, um ein wahrhaft Lebendiger zu sein? Wie erfüllt er diesen Beruf?« Diese und ähnliche Fragen deuten darauf hin, dass die Fragenden erst sich suchten, sich nämlich im wahren Sinne, im Sinne der wahrhaftigen Lebendigkeit. »Was Ich bin, ist Schaum und Schatten; was Ich sein werde, ist mein wahres Ich.« Diesem Ich nachzujagen, es herzustellen, es zu realisieren, macht die schwere Aufgabe der Sterblichen aus, die nur sterben, um aufzuerstehen, nur leben, um zu sterben, nur leben, um das wahre Leben zu finden.
Erst dann, wenn Ich Meiner gewiss bin und Mich nicht mehr suche, bin Ich wahrhaft mein Eigentum: Ich habe Mich, darum brauche und geniesse Ich Mich. Dagegen kann Ich Meiner nimmermehr froh werden, solange Ich denke, mein wahres Ich hätte Ich erst noch zu finden, und es müsse dahin kommen, dass nicht Ich, sondern Christus in Mir lebe oder irgend ein anderes geistiges, d.h. gespenstisches Ich, z.B. der wahre Mensch, das Wesen des Menschen u. dgl.
Ein ungeheurer Abstand trennt beide Anschauungen: in der alten gehe Ich auf Mich zu, in der neuen gehe Ich von Mir aus, in jener sehne Ich Mich nach Mir, in dieser habe Ich Mich und mache es mit Mir, wie man's mit jedem andern Eigentum macht, - Ich geniesse Mich nach meinem Wohlgefallen. Ich bange nicht mehr um's Leben, sondern »vertue« es.
Von jetzt an lautet die Frage, nicht wie man das Leben erwerben, sondern wie man's vertun, geniessen könne, oder nicht wie man das wahre Ich in sich herzustellen, sondern wie man sich aufzulösen, sich auszuleben habe.
Was wäre das Ideal wohl anders, als das gesuchte, stets ferne Ich? Sich sucht man, folglich hat man sich noch nicht, man trachtet nach dem, was man sein soll, folglich ist man's nicht. Man lebt in Sehnsucht und hat Jahrtausende in ihr, hat in Hoffnung gelebt. Ganz anders lebt es sich im - Genuss!
Trifft dies etwa nur die sogenannten Frommen? Nein, es trifft alle, die der scheidenden Geschichtsperiode angehören, selbst ihre Lebemänner. Auch ihnen folgte auf die Werkeltage ein Sonntag und auf das Welttreiben der Traum von einer besseren Welt, von einem allgemeinen Menschenglück, kurz ein Ideal. Aber namentlich die Philosophen werden den Frommen gegenübergestellt. Nun, haben die an etwas anderes gedacht, als an das Ideal, auf etwas anderes gesonnen, als auf das absolute Ich? Sehnsucht und Hoffnung überall, und nichts als diese. Nennt es meinetwegen Romantik.
4.
»Nichts in dieser Welt ist vollkommen«. Mit diesem leidigen Spruche scheiden die Guten von ihr und flüchten sich in ihr Kämmerlein zu Gott oder in ihr stolzes »Selbstbewusstsein«. Wir aber bleiben in dieser »unvollkommenen« Welt, weil Wir sie auch so brauchen können zu unserem - Selbstgenuss.
5.
Denn dem Volke kommt es nur auf seine Selbstbehauptung an; es fordert »patriotische Aufopferung« von jedem. Mithin ist ihm jeder für sich gleichgültig, ein Nichts, und es kann nicht machen, nicht einmal leiden, was der Einzelne und nur dieser machen muss, nämlich seine Verwertung. Ungerecht ist jedes Volk, jeder Staat gegen den Egoisten.
Solange auch nur eine Institution noch besteht, welche der Einzelne nicht auflösen darf, ist die Eigenheit und Selbstangehörigkeit Meiner noch sehr fern. Wie kann Ich z.B. frei sein, wenn Ich eidlich an eine Konstitution, eine Charte, ein Gesetz Mich binden, meinem Volke »Leib und Seele verschwören« muss? Wie kann Ich eigen sein, wenn meine Fähigkeiten sich nur so weit entwickeln dürfen, als sie die »Harmonie der Gesellschaft nicht stören« (Weitling). Der Untergang der Völker und der Menschheit wird Mich zum Aufgange einladen.
Horch, eben da Ich dies schreibe, fangen die Glocken an zu läuten, um für den morgenden Tag die Feier des tausendjährigen Bestandes unseres lieben Deutschlands einzuklingeln. Läutet, läutet seinen Grabgesang! Ihr klingt ja feierlich genug, als bewegte eure Zunge die Ahnung, dass sie einem Toten das Geleit gebe. Deutsches Volk und deutsche Völker haben eine Geschichte von tausend Jahren hinter sich: welch langes Leben! Geht denn ein zur Ruhe, zum Nimmerauferstehen, auf dass Alle frei werden, die Ihr so lange in Fesseln hieltet. - Tot ist das Volk. - Wohlauf Ich!
O Du mein vielgequältes, deutsches Volk - was war deine Qual? Es war die Qual eines Gedankens, der keinen Leib sich erschaffen kann, die Qual eines spukenden Geistes, der vor jedem Hahnenschrei in nichts zerrinnt und doch nach Erlösung und Erfüllung schmachtet. Auch in Mir hast Du lange gelebt, Du lieber - Gedanke, Du lieber - Spuk. Fast wähnte Ich schon das Wort deiner Erlösung gefunden, für den irrenden Geist Fleisch und Bein entdeckt zu haben: da höre Ich sie läuten, die Glocken, die Dich zur ewigen Ruhe bringen, da verhallt die letzte Hoffnung, da summt die letzte Liebe aus, da scheide Ich aus dem öden Hause der Verstorbenen und kehre ein zu den - Lebendigen:
Denn allein der Lebende hat Recht.
Fahre wohl, Du Traum so vieler Millionen, fahre wohl, Du tausendjährige Tyrannin deiner Kinder!
Morgen trägt man Dich zu Grabe; bald werden deine Schwestern, die Völker, Dir folgen. Sind sie aber alle gefolgt, so ist - - die Menschheit begraben, und Ich bin mein eigen, Ich bin der lachende Erbe!
6.
Warum nun, wenn die Freiheit doch dem Ich zu Liebe erstrebt wird, warum nun nicht das Ich selber zu Anfang, Mitte und Ende wählen? Bin Ich nicht mehr wert als die Freiheit? Bin Ich es nicht, der Ich Mich frei mache, bin Ich nicht das Erste? Auch unfrei, auch in tausend Fesseln geschlagen, bin Ich doch, und Ich bin nicht etwa erst zukünftig und auf Hoffnung vorhanden, wie die Freiheit, sondern Ich bin auch als Verworfenster der Sklaven - gegenwärtig.
Bedenkt das wohl und entscheidet Euch, ob Ihr auf eure Fahne den Traum der »Freiheit« oder den Entschluss des »Egoismus«, der »Eigenheit« stecken wollt. Die »Freiheit« weckt euren Grimm gegen Alles, was Ihr nicht seid; der »Egoismus« ruft Euch zur Freude über Euch selbst, zum Selbstgenusse; die »Freiheit« ist und bleibt eine Sehnsucht, ein romantischer Klagelaut, eine christliche Hoffnung auf Jenseitigkeit und Zukunft; die »Eigenheit« ist eine Wirklichkeit, die von selbst gerade soviel Unfreiheit beseitigt, als Euch hinderlich den eigenen Weg versperrt. Von dem, was Euch nicht stört, werdet Ihr Euch nicht lossagen wollen, und wenn es Euch zu stören anfängt, nun so wisst Ihr, dass »Ihr Euch mehr gehorchen müsset, denn den Menschen!«
Die Freiheit lehrt nur: Macht Euch los, entledigt Euch alles Lästigen; sie lehrt Euch nicht, wer Ihr selbst seid. Los, los! so tönt ihr Losungswort, und Ihr, begierig ihrem Rufe folgend, werdet Euch selbst sogar los, »verleugnet Euch selbst«. Die Eigenheit aber ruft Euch zu Euch selbst zurück, sie spricht: »Komm zu Dir!« Unter der Ägide der Freiheit werdet Ihr Vielerlei los, aber Neues beklemmt Euch wieder: »den Bösen seid Ihr los, das Böse ist geblieben«. Als Eigene seid Ihr wirklich Alles los, und was Euch anhaftet, das habt Ihr angenommen, das ist eure Wahl und euer Belieben. Der Eigene ist der geborene Freie, der Freie von Haus aus; der Freie dagegen nur der Freiheitssüchtige, der Träumer und Schwärmer.
Jener ist ursprünglich frei, weil er nichts als sich anerkennt; er braucht sich nicht erst zu befreien, weil er von vornherein Alles ausser sich verwirft, weil er nichts mehr schätzt als sich, nichts höher anschlägt, kurz, weil er von sich ausgeht und »zu sich kommt«. Befangen im kindlichen Respekt, arbeitet er gleichwohl schon daran, aus dieser Befangenheit sich »zu befreien«. Die Eigenheit arbeitet in dem kleinen Egoisten und verschafft ihm die begehrte - Freiheit.
7.
Aber man braucht Euch nur an Euch zu mahnen, um Euch gleich zur Verzweiflung zu bringen. »Was bin Ich?« so fragt sich jeder von Euch. Ein Abgrund von regel- und gesetzlosen Trieben, Begierden, Wünschen, Leidenschaften, ein Chaos ohne Licht und Leitstern! Wie soll Ich, wenn Ich ohne Rücksicht auf Gottes Gebote oder auf die Pflichten, welche die Moral vorschreibt, ohne Rücksicht auf die Stimme der Vernunft, welche im Lauf der Geschichte nach bitteren Erfahrungen das Beste und Vernünftigste zum Gesetze erhoben hat, lediglich Mich frage, eine richtige Antwort erhalten? Meine Leidenschaft würde Mir gerade zum Unsinnigsten raten. - So hält jeder sich selbst für den - Teufel; denn hielte er sich, sofern er um Religion usw. unbekümmert ist, nur für ein Tier, so fände er leicht, dass das Tier, das doch nur seinem Antriebe (gleichsam seinem Rate) folgt, sich nicht zum »Unsinnigsten« rät und treibt, sondern sehr richtige Schritte tut. Allein die Gewohnheit religiöser Denkungsart hat unsern Geist so arg befangen, dass Wir vor Uns in unserer Nacktheit und Natürlichkeit - erschrecken; sie hat Uns so erniedrigt, dass Wir Uns für erbsündlich, für geborene Teufel halten. Natürlich fällt Euch sogleich ein, dass Euer Beruf erheische, das »Gute« zu tun, das Sittliche, das Rechte. Wie kann nun, wenn Ihr Euch fragt, was zu tun sei, die rechte Stimme aus Euch heraufschallen, die Stimme, welche den Weg des Guten, Rechten, Wahren usw. zeigt? Wie stimmt Gott und Belial?
Was würdet Ihr aber denken, wenn Euch einer erwiderte: dass man auf Gott, Gewissen, Pflichten, Gesetze usw. hören solle, das seien Flausen, mit denen man Euch Kopf und Herz vollgepfropft und Euch verrückt gemacht habe? Und wenn er Euch früge, woher Ihr's denn so sicher wisst, dass die Naturstimme eine Verführerin sei? Und wenn er Euch gar zumutete, die Sache umzukehren, und geradezu die Gottes- und Gewissensstimme für Teufelswerk zu halten? Solche heillose Menschen gibt's; wie werdet Ihr mit ihnen fertig werden? Auf eure Pfaffen, Eltern und guten Menschen könnt Ihr Euch nicht berufen, denn die werden eben als eure Verführer von jenen bezeichnet, als die wahren Jugendverführer und Jugendverderber, die das Unkraut der Selbstverachtung und Gottesverehrung emsig aussäen, die jungen Herzen verschlämmen und die jungen Köpfe verdummen.
8.
Ich demütige Mich vor keiner Macht mehr und erkenne, dass alle Mächte nur meine Macht sind, die Ich sogleich zu unterwerfen habe, wenn sie eine Macht gegen oder über Mich zu werden drohen; jede derselben darf nur eins meiner Mittel sein, Mich durchzusetzen, wie ein Jagdhund unsere Macht gegen das Wild ist, aber von Uns getötet wird, wenn er Uns selbst anfiele. Alle Mächte, die Mich beherrschen, setze Ich dann dazu herab, Mir zu dienen. Die Götzen sind durch Mich: Ich brauche sie nur nicht von neuem zu schaffen, so sind sie nicht mehr; »höhere Mächte« sind nur dadurch, dass Ich sie erhöhe und Mich niedriger stelle.
9.
Geh' Mir vom Leibe mit Deiner »Menschenliebe«! Schleiche Dich hinein, Du Menschenfreund, in die »Höhlen des Lasters«, verweile einmal in dem Gewühl der grossen Stadt: wirst Du nicht überall Sünde und Sünde und wieder Sünde finden? Wirst Du nicht jammern über die verderbte Menschheit, nicht klagen über den ungeheuern Egoismus? Wirst Du einen Reichen sehen, ohne ihn unbarmherzig und »egoistisch« zu finden? Du nennst Dich vielleicht schon Atheist, aber dem christlichen Gefühle bleibst Du treu, dass ein Kamel eher durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher kein »Unmensch« sei. Wie viele siehst Du überhaupt, die Du nicht unter die »egoistische Masse« würfest? Was hat also deine Menschenliebe gefunden? Lauter unliebenswürdige Menschen! Und woher stammen sie alle? Aus Dir, aus deiner Menschenliebe! Du hast den Sünder im Kopfe mitgebracht, darum fandest Du ihn, darum schobst Du ihn überall unter. Nenne die Menschen nicht Sünder, so sind sie's nicht: Du allein bist der Schöpfer der Sünder: Du, der Du die Menschen zu lieben wähnst, Du gerade wirfst sie in den Kot der Sünde, Du gerade scheidest sie in Lasterhafte und Tugendhafte, in Menschen und Unmenschen, Du gerade besudelst sie mit dem Geifer deiner Besessenheit; denn Du liebst nicht die Menschen, sondern den Menschen. Ich aber sage Dir, Du hast niemals einen Sünder gesehen, Du hast ihn nur - geträumt.
10.
Man hat immer gemeint, Mir eine ausserhalb Meiner liegende Bestimmung geben zu müssen, so dass man zuletzt Mir zumutete, Ich sollte das Menschliche in Anspruch nehmen, weil Ich - Mensch sei. Dies ist der christliche Zauberkreis. Auch Fichtes Ich ist dasselbe Wesen ausser Mir, denn Ich ist jeder, und hat nur dieses Ich Rechte, so ist es »das Ich«, nicht Ich bin es. Ich bin aber nicht ein Ich neben andern Ichen, sondern das alleinige Ich: Ich bin einzig. Daher sind auch meine Bedürfnisse einzig, meine Taten, kurz alles an Mir ist einzig. Und nur als dieses einzige Ich nehme Ich Mir alles zu eigen, wie Ich nur als dieses Mich betätige und entwickle: Nicht als Mensch und nicht den Menschen entwickle Ich, sondern als Ich entwickle Ich - Mich.
Dies ist der Sinn des - Einzigen.
11.
Aber Ich und Du, Wir mögen zwar Leute sein, von denen sich ein Krummacher denken kann, dass Wir noch gute Christen werden könnten; wenn er Uns indes »bearbeiten« wollte, so würden Wir ihm bald fühlbar machen, dass unsere Christlichkeit nur denkbar, sonst aber unmöglich ist: er würde, grinste er Uns fort und fort mit seinen zudringlichen Gedanken, seinem »guten Glauben«, an, erfahren müssen, dass Wir gar nicht zu werden brauchen, was Wir nicht werden mögen.
12.
Das Ideal »der Mensch« ist realisiert, wenn die christliche Anschauung umschlägt in den Satz: »Ich, dieser Einzige, bin der Mensch«. Die Begriffsfrage: »was ist der Mensch?« - hat sich dann in die persönliche umgesetzt: »wer ist der Mensch?« Bei »was« suchte man den Begriff, um ihn zu realisieren; bei »wer« ist's überhaupt keine Frage mehr, sondern die Antwort im Fragenden gleich persönlich vorhanden: die Frage beantwortet sich von selbst.
Man sagt von Gott: »Namen nennen Dich nicht«. Das gilt von Mir: kein Begriff drückt Mich aus, nichts, was man als mein Wesen angibt, erschöpft Mich; es sind nur Namen. Gleichfalls sagt man von Gott, er sei vollkommen und habe keinen Beruf, nach Vollkommenheit zu streben. Auch das gilt allein von Mir.
Eigner bin Ich meiner Gewalt, und Ich bin es dann, wenn Ich Mich als Einzigen weiss. Im Einzigen kehrt selbst der Eigner in sein schöpferisches Nichts zurück, aus welchem er geboren wird. Jedes höhere Wesen über Mir, sei es Gott, sei es der Mensch, schwächt das Gefühl meiner Einzigkeit und erbleicht erst vor der Sonne dieses Bewusstseins. Stell' Ich auf Mich, den Einzigen, meine Sache, dann steht sie auf dem Vergänglichen, dem sterblichen Schöpfer seiner, der sich selbst verzehrt, und Ich darf sagen:
Ich hab' mein' Sach' auf Nichts gestellt.
13.
Wurde oben gesagt: »den Alten war die Welt eine Wahrheit«, so müssen Wir hier sagen: »den Neuen war der Geist eine Wahrheit«, dürfen aber, wie dort, so hier den Zusatz nicht auslassen: eine Wahrheit, hinter deren Unwahrheit sie zu kommen suchten und endlich wirklich kommen.
14.
Die Wahrheit oder »die Wahrheit überhaupt« will man nicht aufgeben, sondern suchen. Was ist sie anders als das être suprême, das höchste Wesen? Verzweifeln müsste auch die »wahre Kritik«, wenn sie den Glauben an die Wahrheit verlöre. Und doch ist die Wahrheit nur ein - Gedanke, aber nicht bloss einer, sondern sie ist der Gedanke, der über alle Gedanken ist, der unumstössliche Gedanke, sie ist der Gedanke selbst, der alle andern erst heiligt, ist die Weihe der Gedanken, der »absolute«, der »heilige« Gedanke. Die Wahrheit hält länger vor, als alle Götter; denn nur in ihrem Dienste und ihr zu Liebe hat man die Götter und zuletzt selbst den Gott gestürzt. Den Untergang der Götterwelt überdauert »die Wahrheit«, denn sie ist die unsterbliche Seele dieser vergänglichen Götterwelt, sie ist die Gottheit selber.
Ich will antworten auf die Frage des Pilatus: Was ist Wahrheit? Wahrheit ist der freie Gedanke, die freie Idee, der freie Geist; Wahrheit ist, was von Dir frei, was nicht dein eigen, was nicht in deiner Gewalt ist. Aber Wahrheit ist auch das völlig Unselbständige, Unpersönliche, Unwirkliche und Unbeleibte; Wahrheit kann nicht auftreten, wie Du auftrittst, kann sich nicht bewegen, nicht ändern, nicht entwickeln; Wahrheit erwartet und empfängt alles von Dir und ist selbst nur durch Dich: denn sie existiert nur in - deinem Kopfe. Du gibst das zu, dass die Wahrheit ein Gedanke sei, aber nicht jeder Gedanke sei ein wahrer, oder, wie Du's auch wohl ausdrückst, nicht jeder Gedanke ist wahrhaft und wirklich Gedanke. Und woran missest und erkennst Du den wahren Gedanken? An deiner Ohnmacht, nämlich daran, dass Du ihm nichts mehr anhaben kannst! Wenn er Dich überwältigt, begeistert und fortreisst, dann hältst Du ihn für den wahren. Seine Herrschaft über Dich dokumentiert Dir seine Wahrheit, und wenn er Dich besitzt und Du von ihm besessen bist, dann ist Dir wohl bei ihm, denn dann hast Du deinen - Herrn und Meister gefunden. Als Du die Wahrheit suchtest, wonach sehnte sich dein Herz da? Nach deinem Herrn! Du trachtetest nicht nach deiner Gewalt, sondern nach einem Gewaltigen, und wolltest einen Gewaltigen erhöhen (»Erhöhet den Herrn, unsern Gott!«). Die Wahrheit, mein lieber Pilatus, ist - der Herr, und alle, welche die Wahrheit suchen, suchen und preisen den Herrn. Wo existiert der Herr? Wo anders als in deinem Kopfe? Er ist nur Geist, und wo immer Du ihn wirklich zu erblicken glaubst, da ist er ein - Gespenst; der Herr ist ja bloss ein Gedachtes, und nur die christliche Angst und Qual, das Unsichtbare sichtbar, das Geistige leibhaftig zu machen, erzeugte das Gespenst und war der furchtsame Jammer des Gespensterglaubens.
Solange Du an die Wahrheit glaubst, glaubst Du nicht an Dich und bist ein - Diener, ein - religiöser Mensch. Du allein bist die Wahrheit, oder vielmehr, Du bist mehr als die Wahrheit, die vor Dir gar nichts ist. Allerdings fragst auch Du nach der Wahrheit, allerdings »kritisierst« auch Du, aber Du fragst nicht nach einer »höhern Wahrheit«, die nämlich höher wäre als Du, und kritisierst nicht nach dem Kriterium einer solchen. Du machst Dich an die Gedanken und Vorstellungen wie an die Erscheinungen der Dinge nur zu dem Zwecke, um sie Dir mundgerecht, geniessbar und eigen zu machen, Du willst sie nur bewältigen und ihr Eigner werden, willst Dich in ihnen orientieren und zu Hause wissen, und befindest sie wahr oder siehst sie in ihrem wahren Lichte dann, wenn sie Dir nicht mehr entschlüpfen können, keine ungepackte oder unbegriffene Stelle mehr haben, oder wenn sie Dir recht, wenn sie dein Eigentum sind. Werden sie nachgehends wieder schwerer, entwinden sie deiner Gewalt sich wieder, so ist das eben ihre Unwahrheit, nämlich deine Ohnmacht. Deine Ohnmacht ist ihre Macht, deine Demut ihre Hoheit. Ihre Wahrheit also bist Du oder ist das Nichts, welches Du für sie bist und in welches sie zerfliessen, ihre Wahrheit ist ihre Nichtigkeit.
Erst als das Eigentum Meiner kommen die Geister, die Wahrheiten, zur Ruhe, und sie sind dann erst wirklich, wenn ihnen die leidige Existenz entzogen und sie zu einem Eigentum Meiner gemacht werden, wenn es nicht mehr heisst: die Wahrheit entwickelt sich, herrscht, macht sich geltend, die Geschichte (auch ein Begriff) siegt u. dergl. Niemals hat die Wahrheit gesiegt, sondern stets war sie mein Mittel zum Siege, ähnlich dem Schwerte (»das Schwert der Wahrheit«). Die Wahrheit ist tot, ein Buchstabe, ein Wort, ein Material, das Ich verbrauchen kann. Alle Wahrheit für sich ist tot, ein Leichnam; lebendig ist sie nur in derselben Weise, wie meine Lunge lebendig ist, nämlich in dem Masse meiner eigenen Lebendigkeit. Die Wahrheiten sind Material wie Kraut und Unkraut; ob Kraut oder Unkraut, darüber liegt die Entscheidung in Mir.
Mir sind die Gegenstände nur Material, das Ich verbrauche. Wo Ich hingreife, fasse Ich eine Wahrheit, die Ich Mir zurichte. Die Wahrheit ist Mir gewiss, und Ich brauche sie nicht zu ersehnen. Der Wahrheit einen Dienst zu leisten, ist nirgends meine Absicht; sie ist Mir nur ein Nahrungsmittel für meinen denkenden Kopf, wie die Kartoffel für meinen verdauenden Magen, der Freund für mein geselliges Herz. Solange Ich Lust und Kraft zu denken habe, dient Mir jede Wahrheit nur dazu, sie nach meinem Vermögen zu verarbeiten. Wie für den Christen die Wirklichkeit oder Weltlichkeit, so ist für Mich die Wahrheit »eitel und nichtig«. Sie existiert gerade so gut, als die Dinge dieser Welt fortexistieren, obgleich der Christ ihre Nichtigkeit bewiesen hat; aber sie ist eitel, weil sie ihren Wert nicht in sich hat, sondern in Mir. Für sich ist sie wertlos. Die Wahrheit ist eine - Kreatur.
Wie Ihr durch eure Tätigkeit unzählige Dinge herstellt, ja den Erdboden neu gestaltet und überall Menschenwerke errichtet, so mögt Ihr auch noch zahllose Wahrheiten durch euer Denken ermitteln, und Wir wollen Uns gerne daran erfreuen. Wie Ich Mich jedoch nicht dazu hergeben mag, eure neu entdeckten Maschinen maschinenmässig zu bedienen, sondern sie nur zu meinem Nutzen in Gang setzen helfe, so will Ich auch eure Wahrheiten nur gebrauchen, ohne Mich für ihre Forderungen gebrauchen zu lassen.
Alle Wahrheiten unter Mir sind Mir lieb; eine Wahrheit über Mir, eine Wahrheit, nach der Ich Mich richten müsste, kenne Ich nicht. Für Mich gibt es keine Wahrheit, denn über Mich geht nichts! Auch nicht mein Wesen, auch nicht das Wesen des Menschen geht über Mich! Und zwar über Mich, diesen »Tropfen am Eimer«, diesen »unbedeutenden Menschen«!
Subscribe to:
Posts (Atom)