Was ist denn jetzt eigentlich so schlimm an Facebook?

als im 19ten jahrhundert die meisten länder demokratische institutionen bekamen, war ein beliebtes argument der herschenden: "was stört euch denn jetzt noch an unserer gesellschaftsform, wenn euch was nicht passt, wählt anders, oder gründet eine partei und lässt auch wählen" woraufhin die antwort der anarchisten, sozialisten war: formelle demokratische mitbestimmung nützt überhaupt nichts, solange die bevölkerung, die einzelnen menschen, nicht auch die produktionsmittel besitzen bzw. "demokratisch" an ihnen teilhaben können. solange eine kleine gruppe, klasse von menschen - die bourgeoisie - sämtliche fabriken, nahrungsmittel, rohstoffe besitzen, haben diese auch de fakto die macht, und nicht die parlamente. wenn ein reformpolitiker ausnahmsweise mal gewählt werden sollte, könnte die bourgeoisie nach der wahl an ihn herantreten, und sagen: "es ist ja schön, was du den menschen versprochen hast. aber denke daran, wir sind die wirtschaft. also regiere besser nicht gegen unsere interessen".
das war im industriezeitalter - als der besitz der produktionsmittel mit das wichtigste schien. im medienzeitalter haben aber die kommunikationsmittel diesen platz eingenommen.
die allerwichtigste frage ist heute: wer besitzt die kommunikationsmittel?
in den 70ern waren viele kommunikationsmittel in der hand des staates. nehmen wir den bereich musik: das öffentlich-rechtliche fernsehen hatte einige musiksendungen, die für eine band entscheidend sein konnten, ob sie ihre musik in einem größeren kreis verbreiten kann oder nicht. wenn den verantwortlichen der ARD eine band nicht gefiel, weil sie zu punkig, lärmig, oder kritische texte hatte, dann wurde sie auch nicht gesendet. (letzendlich gab es punk und new wave bands die gesendet wurden - das wär ein eigenes thema - aber die mehrheit der musik war es nicht.)
das sich punk trotzdem verbreiten kann, lag daran, das damals die jugend, die bevölkerung noch ein grosses eigenes netz an kommunikationsmitteln hatte und entwickelte:
mundpropaganda, fanzines, parties...
das gerade diese form der kommunikation nun zu einem grossteil über facebook läuft, ist besonders traurig.
facebook ist eine art ARD-hoch-eine-million. wesentlich größer, wesentlich authoritärer, wesentlich bürokratischer, mit wesentlich mehr einfluss und künstlern / bands die von der organisation facebook abhängig sind.
was heisst es nun, das facebook in einem enormen besitz an kommunikationsmitteln ist?
es heisst z.B., das facebook jederzeit ein profil löschen kann und von der kommunikation abschneiden kann. es gibt ja kein "recht" auf ein facebookprofil. in der praxis kann das z.B. folgendes heissen: in amerika formiert sich eine christliche bewegung, die meint, metalmusik ist teufelszeug und muss verbannt werden. die medien greifen das auf, viele eltern sind begeistert, und facebook wird das ganze zu heiss, und konzipiert eine neue regel, nachdem sämtliche profile von metalbands auf facebook gelöscht werden müssen. das ist ihr "recht" weil es eben keinen rechtsanspruch auf ein facebookprofil gibt, und kann jederzeit passieren. es muss auch nicht von aussen sein. die facebookführung will z.B. auf einmal ein neues image für ihren konzern, es soll positiv-familienfreundlich sein, und sie sind der meinung, dass rapmusik da nicht reinpasst, also werden die leute aufgefordert, ihre rapprofile zu löschen. hypothetisch kann facebook ja auch jedes beliebige profil einfach so löschen, ohne das was passiert - man hat einfch keinen rechtsanspruch.
facebook ist wesentlich weniger demokratisch strukturiert als der staat und deshalb auch gefährlicher.
wenn man jetzt facebook mit älteren kommunikationsmittel vergleicht, fällt das auch auf:
z.B. eine anarchistische gruppe verteilt flugblätter, und findet auch viele anhänger. ein politiker fordert nun: stellt denen die telefone ab, verbietet das sie sich treffen, miteinander kommunizieren. dann könnten sie, solange sie nicht krass gegen das gesetz verstossen haben, dagegen protestieren, klagen, usw, und werden oft recht bekommen.
diese rechtliche mittel gibt es bei facebook garnicht mehr - facebook sperrt und löscht einfach, und damit fertig.
nun werden viele einfach sagen, das ist ja auch ihr gutes recht, sie besitzen nunmal die kommunikationsmittel, und wer diese besitzt, kann mit ihnen auch schalten und walten, wie er will.
das ist vergleichbar damit, dass die menschen im mittelalter den feudalismus auch irgendwie als normal empfunden haben, und gesagt hatten "ist nunmal so, der könig besitzt mein haus, meine felder, und kann damit machen was er will. dem könig gehört halt alles und das war schon immer so".
es sollte klar sein, dass es nicht der normalzustand sein muss, dass die menschen nicht die kommunikationsmittel besitzen, die sie benutzen, und dadurch beherschbar und abhängig werden.
die momentane situation ist praktisch so, als dürfte man sich nicht selber etwas zu essen kaufen, sondern ein nachbar verteilt das essen an alle personen im haus, und die menschen sagen: ach das ist so ein netter mensch, der würde diese macht schon nicht ausnutzen. würde er nicht? genauso verwaltet und bestimmt facebook die kommunikation der menschen, und die menschen hoffen, das facebook dies nie ausnutzen würde (obwohl das schon längst passiert).
seiten wie wikileaks wurden einfach gelöscht, weil wohl einige politiker druck auf facebook gemacht haben. man kann sich vorstellen, das jede ähnliche organisation, die eine grosse öffentlichkeit erreicht, der gleichen gefahr ausgesetzt ist.
nun war der kampf der kommunikationsmittel eines der großen themen des 20ten jahrhunderts; vielleicht das größte. selbst rocknroll war größtenteils durch kleine (eine art indie-) labels, mundpropaganda, rudimentäre gegenkulter verbreitet worden.
trotzdem war rocknroll enormer repression seitens des staates und vieler etablierter medien ausgesetzt; aber die labels konnten z.B. sagen "uns egal was die öffentliche meinung ist, wir produzieren weiter rocknrollplatten".
wenn es damals schon facebook gegeben hätte und so verbreitet gewesen wäre, wäre genau das folgende passiert: facebook hätte dem öffentlichen druck nachgegeben, und rocknroll von ihrem netzwerk verbannt, und rocknroll wäre geschichte gewesen.
der bewusste, gezielte kampf um die kommunikationsmittel wurde durch die hippiebewegung und die punkexplosion und die folgenden subkulturen noch verstärkt, durch das schaffen von gegenmedien, dem versuch einer gegenkultur, gegenöffentlichkeit und eigenen magazinen, büchern, foren verschiedenster art, treffen, gruppierungen, und es ist schade, das gerade diese form des widerstands nahezu verschwindet, und gerade die "subkultur" heute über kommunikationsmittel kommuniziert, die in extrem authoritärer hand liegen.
was auch die frage beantwortet, "was" man denn nun gegen facebook tun kann: eben wieder *eigene* kommunikationsmittel aufbauen.
der aufstieg der sozialen netzwerke ist eine enorme niederlage im kampf um die kommunikatiosnmittel und die selbstbestimmung der menschen; aber er ist noch lange nicht vorbei, und es gibt noch viel zu gewinnen.