1.
die anarchisten waren schlau genug, nie einen zu detailierten plan ihrer anarchistischen gesellschaft aufzustellen (zumindest die meisten, bekanntesten anarchisten). während die sozialisten eine detailierte, geplante gesellschaft entwarfen, liessen die anarchisten den menschen die freiheit, vorallem die freiheit in ihren köpfen, die zukünftige welt selbst zu wählen und zu gestalten.
dennoch wurde die anarchie, wie sich die anarchistischen vordenker vorstellten, grob umrissen. dazu muss man sagen, der hauptsächlichen entstehung der anarchistischen bewegung im 19ten jahrhundert entsprechend, fand sich in diesen groben "plänen" auch viele denkweisen, und, meiner meinung nach, fehler des 19ten jahrhunderts wieder. so wie im 19ten jahrhundert die politiker jeglicher fraktion versuchten die gesellschaft rigide durchzuorganisieren, wie die wissenschaftler versuchten alles wissen strikt zu kategorisieren und einzuordnen, findet man auch in den entwürfen der anarchistischen gesellschaft eine grobe, aber starke struktur.
allgemein war die idee, das sich die menschen in gruppen organisierten, die sich dann auf lokaler und förderaler ebene in immer grösseren maßstab organisieren sollten. eine kleinste ebene könnte dann z.B. eine anarchistische gruppe einer strasse sein; die in einem anarchistischen verband des stadtteils organisiert ist; die dann wiederum innerhalb der anarchistischen stadt; usw. bis zur landesebene, oder theoretisch sogar weltweit. dies ist vorallem das anarcho-kommunistische modell. die syndikalisten und andere hatten andere vorstellungen; ich denke aber, grob kann man den meisten anarchistischen strömungen dieser zeit dieses modell als referenz zuordnen; zumindest teile davon hatten sie in den meisten fällen in ihren modellen vorhanden.
kropotkin lobt z.B. die mittelalterliche stadt, die, seiner meinung nach, schon viel vom anarchistischen modell verwirklicht hatte, und ein vorbild für die künftige anarchie sei. (im gegensatz zu den meisten kapitalisten und sozialisten des 19ten jahrhunderts, sahen die anarchisten häufig die mittelalterliche europäische gesellschaft der modernen als überlegen an, die von der bourgeoisie verraten und zerstört wurde).
die einzelnen gesellschaftlichen einheiten könnten vertreter wählen, die sie auf föderaler ebene vertreten würde, wenn über themen abgestimmt würde, die über die kleineren einheiten hinausgehen (z.B. stadtplanung im großen).
ironischerweise wäre auf diese art sogar ein gewählter anarchistischer präsident möglich. im grunde kann man sagen, dass diese modelle der anarchie sehr viel mit dem, was man unter "direkter demokratie" versteht, gemeinsam haben.
allerdings gab es auch im 19ten jahrhundert schon anarchistische und verwandte denker, die über diese "durchgeplante" konzept einer anarchie hinausdachten.
2.
um die jahrhundertwende des 20ten jahrhundert, und vorallen in den ersten jahrzehnten des jahrhunderts, entstanden auf einmal sehr viele neue, radikale, gewagte politische ideen, gleichwohl kunstrichtungen. in der szene der avantgarde vereinigten sich nun beide. rigide planung und struktur, gesellschaftliche *organisation* an sich wurde nun als *teil* des kapitalismus angesehen, und des alten denkens angesehen, und andere entwürfe erstellt. die sehnsucht nach einer festen gesellschaftlichen struktur an sich wurde von vielen denkern als plage der gesellschaftlichen ideologie angesehen. die rebellion wurde allumfassend, richtete sich nicht mehr nur gegen das wirtschaftssystem oder die politische klasse, sondern auch gegen die herschende kultur, gegen erziehung, wissenschaft, etablierte philosophie, konzepte von geschlecht, familie, moral, etc.
des denkgebäude der moderne an sich wurde in frage gestellt.
soweit ich weiss war mit dem faschismus in grossen teilen erstmal schluss mit dem meisten dieser avantgarade in europa; in den texten der 50er findet man z.B. nur noch wenig dieser ideen.
mit den 60s, den hippies, und den 68ern war dann erstmal komplett schluss mit dieser alten form des anarchismus (bis auf wenige strömungen, die bis heute überdauern, aber kaum noch relevant sind). es enstanden bewegungen wie die situationisten, die die ideen der avantgarde wieder aufgriffen oder neue konzepte entwarfen, und der gesellschaftlichen ideologie - und zum teil ihrer philosophie - den kampf ansagten. eine neue rebellion gegen die moderne *an sich* war geboren. die gewerkschafts- und kommunistischen kämpfe, die durch das land tobten, mit ihrer alten ideologie, liessen sie kalt - sofern sie sich nicht in radikalere formen transformieren liessen.
ende der 80er, in den 90ern entstand dann noch eine weitere (wesentlich stärkere) radikalisieren dieser ideen. doch dies ist nicht der platz dafür, diese näher darzustellen - vielleicht in einem anderen text.
3.
worauf ich nun hinaus will, ist dass sich dadurch neue ideen für die anarchistische gesellschaft hinauskristallisiert haben. nicht mehr die fein geplante, "fest" strukturierte, organisierte gesellschaft. sondern eine organische, komplexe, chaotische anarchie. die aus vielerlei individuen, gruppen, strukturen, verbänden, zusammenschlüssen besteht, die sich frei entfalten, verbinden, frei leben, etwas erschaffen, althergebrachtes überwinden, teilweise gemeinsam vorgehen, teilweise nicht. was ich meine ist tatsächlich schwer "auf text" zu beschreiben; radikale, kämpferische, gruppen und strukturen; clans, stämme,gangs, geheime zusammenkünfte, für die freiheit und für den kampf. man denke vielleicht an cyberpunk filme und bücher, nur halt auf positivere art. wem da zu sehr nach "science fiction romantik" klingt, dem unterstelle ich dass er mangelnde fantasie hat. wenn nicht ein positives bild, das man im kopf hat, als vorbild dienen kann, dann ist sowieso alles verloren.
der vorteil dieses anarchistischen modells ist, das die alte frage "ob anarchie im grossen maßstab funktioniert" nicht mehr relevant, und gelöst ist; es ist dann nicht mehr notwending, ob es im grossen maßstab funktioniert, da ja die kleinen und aktiven anarchistischen gruppen und zusammenschlüsse existieren. es wäre durchaus denkbar, dass erstmal nur der halbe teil der gesellschaft in eine derartige "anarchie" übergehen würde. und der rest dann vielleicht später.
dieser text ist natürlich viel zu kurz, um diese modelle einer organischen anarchie länger vorzustellen; vielleicht woanders mehr dazu; aber vielleicht hilft er als inspiration und gedankenanstoss für anderen menschen, die sich nach anarchie sehnen.
zusatz:
vieles in diesem text ist sehr vereinheitlicht erwähnt, und viele werden sicherlich erwähnen können, das ich dies und jenes detail nicht genug beachtet habe. ich wollte aber im rahmen dieses textes nicht auf jedes teil eingehen; man verzeihe mir die "verallgemeinerung".
william gibson, der mit seinen büchern einen grossen teil zu der entstehung des cyberpunks beigetragen hat, waren die ideen der organischen anarchie der bewegung der 60er bekannt. eine verbindung ist also aufjedenfall da.
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